Radio-Single: „Deine Mutter schmiert die Butter“
Album: „Elctronic Babies“
In dem Park auf der Bank / Sitzt ein seltsamer Mann / Der singt sein Lied in den Wind / Das handelt von Sehnsucht / Und Einsamkeit
Manchmal wünsch ich mir, Poetinnen und Poeten hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, in Bands zu sein. Wie hätten die Gedanken von Else Lasker-Schüler oder Jakob van Hoddis wohl mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug geklungen?
Leider hatten viele nicht dieses Glück, denn das Konzept Rockband wurde erst in den 1950er Jahren erfunden.
Aber Tobias Bamborschke hat dieses Glück. Seine Texte sind seit jeher auffallend poetisch. Gut, dass er in jungen Jahren Max Bauer kennenlernte. Aus dieser Schicksalsbegegnung ging dann schließlich im Jahr 2012 ISOLATION BERLIN hervor.
Isolation Berlin sind Max Bauer (Gitarre/Orgel), David Specht (Bass), Simeon Cöster (Schlagzeug) und eben Tobias Bamborschke (Gesang und Gitarre).
Nach einer EP-Collection und drei Alben ist „ELECTRONIC BABIES“ nun ihr viertes Album.
Seit die Selbstinszenierung des Einzelnen zum Ultimum erklärt wurde, sind Bands aus der Mode gekommen.
Zeitgeistige Aspekten steht die Band ISOLATION BERLIN jedoch mit Sicherheit gleichgültig gegenüber. Stattdessen kreieren sie ihr eigenes Genre und nennen es treffend Protopop. Tobias Bamborschkes Gesang ist eindringlich, melancholisch, mitunter nihilistisch. Das Spektrum der Band reicht von Pop über Rock bis zum Chanson. Und es ist gewiss kein Zufall, dass Sven Regener von Element of Crime auf dem neuen Album als Trompeter in Erscheinung tritt. Auch die Shoegazing-Anklänge des Plattencovers kommen nicht von ungefähr.
Aber viel wichtiger sind das Leid, die Wut und der Humor in der Musik von ISOLATION BERLIN. So etwas findet sich heutzutage nur noch selten.
Das Album beginnt direkt mit dem Opus Magnum „ECHT SEIN“. Bamborschke singt: „Mit hoch erhobenem Finger / Und wild entschlossenem Blick / So stand ich wütend da / Doch da wurd mir rechtzeitig klar / Ich bin ja selber so ein Arsch“
Der Song endet in einem überbordenden und schwelgerischen Wunsch des Erzählers nach Selbstakzeptanz. Während der Sänger sich selbst umarmt, werden wir von der Musik umarmt. Und wir spüren, dass wir alle gemeint sind, wenn Bamborschke vom „ich“ singt.
Während man beim Song „ VERLIEBT IN DIESES LIED“ zunächst meint, in eine wohlig-nostalgische Stimmung zurückversetzt zu werden („Die Tage waren unendlich sanft / Der liebe Gott hat uns noch alle sehr geliebt / Wir guckten Nickelodeon / Und dann kam was / Und dann kam was auf MTV“). Doch dann spürt man, wie der Abgrund uns zwischen den Zeilen anstarrt. Auch weil Bamborschke die drei Buchstaben MTV auf einzigartige Weise intoniert.
Er ist ohnehin ein Meister seines ganz eigenen Ausdrucks. Zum Beispiel wenn er singt:
„Mich quält so sehr das Tageslicht / Denn ich ertrag mich selber nicht / Mir ist so schlecht, ich glaub ich muss krepieren / Die Schuld vergangener Tage / Liegt mir so schwer im Magen“
Das sind Zeilen aus dem Song „DER TRINKER“. Mit Hintersinn zitiert der Titel zugleich einen Roman von Hans Fallada und ein Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner.
Es gibt allerdings auch Momente, in denen ISOLATION BERLIN sich voll im Hier und Jetzt befinden und zur lauten Rockband mutieren. „RATTE“ ist der beste Rattensong seit „Wir sind die Ratten“ der Berliner Band Vorkriegsjugend; DRUGS entfaltet in Musik und Text eine gespenstische Anziehungskraft; und im Titelsong „ELECTRONIC BABIES“ singt Bamborschke den Songtitel nicht, sondern spuckt ihn regelrecht aus. Selten wurde die Stumpfheit der Digitalisierung eindringlicher beschrieben.
Und selbstverständlich gibt es Nichts un-digitaleres als eine Band.
Menschen finden sich im Proberaum oder Studio zusammen um gemeinsam etwas zu erschaffen. Ich bin so froh, dass es das im Jahr 2024 noch gibt.
Aufgenommen, arrangiert und produziert haben Isolation Berlin „Electronic Babies“ in ihrem eigenen Proto-Pop-Studio.
Für zwei der elf Titel hat sich die Band allerdings Moses Schneider als Co-Produzenten hinzugeholt. Das will was heißen, denn bisher haben ISOLATION BERLIN Produzenten strikt abgelehnt und stets alles komplett selbst gemacht. Dass sie dazu in der Lage sind, haben sie längst bewiesen und beweisen sie auch auf diesem Album wieder.
Schließlich findet sich auf dem Album das romantischste Berlin-Liebeslied überhaupt
„Wir haben uns gestritten und bekriegt / Wir haben uns unsagbar geliebt /
Wir waren traurig und dabei so glücklich / Auf unserem Planeten / Hinterm Vattenfallmond“. Zu diesen Worten spielt die Band ein wunderschönes Chanson.
Ich stelle auf Repeat.
Danke Isolation Berlin für Eure Musik!
[Jan Müller (Tocotronic / Reflektor)]
Ich kann einfach nicht anders. Wenn ich ein Album höre, dann muss ich sofort daran denken: Was ist die Geschichte? Als ob jedes Album der Welt ein Konzeptalbum wäre. Oder eine Art Filmmusical darin stecken würde. Vielleicht ist es das Zwänglertum des Autors, alles zu einer zusammenhängenden Geschichte zu verdichten. Electronic Babies ist zumindest schon mal ein vielversprechender Titel. Das kann in viele Richtungen gehen. Handelt es sich um eine Geschichte über Babyroboter für Paare, die keine Kinder bekommen können? Geht´s um digitale Prostitution? Oder darum, dass wir eigentlich noch in den Kinderschuhen unterwegs sind in ein neues Zeitalter? Dass wir in Anbetracht von KI und anderen Intelligenzen wie Elektronische Babies dastehen. Aber wer sagt heute noch elektronisch? Bilder einer retrohaften Metropoliswelt tun sich auf. Goldene Humanoide im Kreissaal deutscher Expressionismus-Science Fiction. Electronic Babies start to dance. Nein. Schließen wir die Augen und schauen wir uns den Film von Isolation Berlin an, der Eletronic Babies heißt. Er wird für jeden anders sein. Hier ist meiner.
Es beginnt unerwartet. Eine Art Dandy erwacht mit einem hellwachen Ansinnen. Er trägt einen Bademantel aus abgewetztem Kuhleder. Er sieht nach Links und nach rechts. Aber in der Welt von Tobias Bamborschke gibt es keine Butler. Dafür kongeniale Musiker wie Max Bauer, David Specht und Simeon Cöster, die um sein Bett stehen und die morgendliche Epiphanie Echt sein zu einer Hymne hochspielen. Was mit zarten Klavierakkorden begann, steigert sich zu einem Plädoyer für das authentische Leben abseits von Gut und Schlecht. Die Einsicht, man sei selbst so ein Arsch, verhilft der Geschichte zu einer Perspektive abseits des erhobenen Zeigefingers, für den im Deutschrock zwischen dem dichtesten Gitarrenspiel sonst immer noch Zeit bleibt. Am Ende des Liedes läuft man aus der Isolation hinaus in die Welt. Und stolpert direkt ins Museum, wo die schönsten Frauen auf Gemälde starren. Man schlendert durch den Liebeskummer als würde er in Petersburg-Hängung an uns vorbeiziehen. Und irgendwie hat sich die Jahreszeit verändert, wenn wir hinaustreten. Da können wir die Spuren im Schnee jener Frau sehen, der hinterhergesehnt wurde. Ein Stich im Herzen, dem wir folgen. Um völlig unerwartet mit minimalistischen, elektronischen New Wave Peitschenschlägen in die Kanalisation getrieben zu werden. Aus dem Dandy ist eine rennende Punk-Ratte geworden. Irgendwie animiert mit Bürstenschnitt und Manga mäßig. Eine Underground-Außenseiter-Kolonie. Eine, die es bevorzugt im Dunklen zu leben und nicht Radau zu machen. Eben ein Rattendasein führt. Wir laufen mit ihnen. Bis wir einen Lichtschlitz erblicken. Einen Deckel. Heben wir ihn hoch. Eine Straße. Kein gleißendes Licht. Eher verhangene Gitarren und Synthie-wolken. Und ein winkender, fast juchzender Ruf des Sängers. Wohin will er mich führen? Ich spüre schnell, es ist mein Lieblingslied auf dem Album. Es geht wieder um die Liebe. Um die Liebe zu einem Lied. „Oh Gott, ham wir das Lied geliebt.
Wir waren so klein und waren so verliebt, verliebt in dieses Lied“ Das Lied heißt auch: Verliebt in dieses Lied. Und es stellt sich sofort die Frage: Kann man verliebt sein in ein Lied, das heißt: Verliebt in dieses Lied – ohne sich dabei denunziert, kalkuliert oder kommentiert zu fühlen? Ja, man kann. Warum? Billige Antwort des faulen Autors: Hören Sie selbst. In zwei Sätzen: Es gibt Lieder, die wollen klatschende Hände, Lieder, die wollen, dass wir springen, aber dieses Lied ist eine einzige verträumte Kreiselbewegung, am besten mit ausgestreckten Händen, die sanft über die Schultern der Passanten streifen. Und dann ist da dieses sanfte musikalische Zitat von „Walk on the Wild Side“ zwischen den Strophen, um dann den Kreisel immer schneller zu drehen – bis man schwindlig ins Heu fällt. Und den anderen dabei zusieht, wie sie im Strobe-Gewitter zum Song Drugs tanzen. Und auch nicht aufhören, wenn das Stadl zu brennen beginnt. Denn sie wollen „im-m-m-mer mehr“ – das in schönstem WHO-Gestotter und 80er Jahre Amphetamin-Stakkato vorgetragenen wird. Hier werden wir von der Gitarre zombifiziert. Es besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr rechtzeitig rauskommen, wenn das Lied am Ende zu taumeln beginnt. Aber wir richten uns auf, reißen die brennende Stadltür auf. Wir irren durch diesen Horrortrip. Pitigrillis „einbalsamierte, schrille Vögel“ treten in Erscheinung. Sie starren mich an. Ich merke: Ich switche ständig zwischen einem Ich-und Wir-Gefühl. Es ist das Wesen dieser Musik. Jetzt hilft nur der Sprung in etwas Unschuldiges. In etwas Kindliches. Es kommt schon hallend daher. Wie von einem Kreuzschiff, das fliegender Holländer heißt. Ein Schlager. Er heißt: Deine Mutter schmiert die Butter. Eine deutsche Adams-Familie stellt sich auf. Hier geht es um Chemie und nicht um Liebe. Liebe aus der Welt der Neurologie. Eine herrlich infantile Melodie, die sich selbst als Vernunft behauptet. Im Familienhaus wird Walzer in zackiger Breakdancemanier praktiziert. Bis einer die Pistole zieht. Dann wird es Tränen geben. Aber jetzt ist es die Fröhlichkeit jener einbalsamierten, schrillen Vögel, die untertags einen auf vertrauenswürdig machen, die den Ton angibt. Anders als jene, die in der Kneipe ums Eck ihre Sehnsüchte wegtrinken. Oder hertrinken. In der Hymne Der Trinker geht es natürlich um Liebe. Nein. Es geht um Reue und Schuld. Was hat er wohl angestellt der Trinker? War es im Suff? Der naturgemäß nicht zur Ernüchterung geführt hat, sondern zum noch größeren Rausch des Vergessenwollens. Und der einzigen Artikulation, die noch geht. Die Hand, die aus der Gruft der dunklen Kneipe in die Tageswelt ragt und ruft: Hol mich hier raus! Fallada lässt grüßen, weil er es selbst nicht mehr kann.
Und dann kommt sie wieder: Die Ratte. Nur ist sie dieses Mal eine Maschine. Als hätte eine Verwandlung stattgefunden. Ein analoges Gitarren-Kraftwerk prügelt auf uns ein. Ein menschliches Keuchen, das sich zum Funktionieren hochkeucht? Vielleicht aber auch Kapitulation. Das Löschen aller Gefühle. Und doch ist da eines. Es ist nicht Wut. Es ist eine Disziplinierungstirade. Sich selbst den Menschen ausreden. Sich selbst abschaffen wollen. Vielleicht die logische Konsequenz aus der Resignation des Trinkers. „Ich bin nicht schwach. Bin immer stark“
Man atmet erleichtert auf, wenn es danach wieder humanistisch zugeht. „Wir waren traurig und dabei so glücklich.“ Das unterscheidet den Menschen vom Tier. Und auch von den Maschinen. Ein Innehalten und Treibenlassen wie es einer Maschine niemals in den Sinn käme. Und schon gar keiner künstlichen Intelligenz. Wie der folgende Moment im Park auf der Bank. Es wäre ein nichtiger Moment. Wenn man kein Lied darüber schriebe. Und doch geht es um den Wind, der uns vor die Tür des Menschen treibt, nach dem wir uns immer gesehnt hatten, den wir aber nie trafen. Den wir übersähen, wenn wir „nur noch auf Liebe programmiert“ wären – wie die Electronic Babies, die uns am Ende noch ein paar angemessene Stromschläge injizieren. Die Stimme Bamborschkes bis in die letzte Haarspitze elektrisiert. Er singt verkabelt von „auf Draht sein“ und „vom Treiben im Datenstrom“. Von den Electronic Babies. Die so heißen, weil sie die Liebkinder der Maschinen geworden sind. Und nicht umgekehrt.
[David Schalko]
Isolation Berlin sind mit ihrer zweiten Single RATTE aus ihrem kommenden fünften Album „Electronic Babies“ zurück. Die Band, die ihr Lieblingslied noch auf dem flimmernden und flirrenden Bildschirm via MTV zelebrierte, mutieren nun zur lauten Rockband im Hier und Jetzt, um völlig unerwartet mit minimalistischen, elektronischen New Wave Peitschenschlägen in die Kanalisation getrieben zu werden. Es geht um die Ratte, die es bevorzugt, im Dunklen zu leben. Und nicht Radau zu machen. Und wir laufen mit ihr. Bis wir einen Lichtschlitz erblicken. Einen Deckel. Heben wir ihn hoch. Eine Straße. Kein gleißendes Licht. Eher verhangene Gitarren und Synthiewolken. „Es gibt Millionen von uns, doch wir fühlen uns so allein..“ Singt Tobias Bamborschke im Chor mit seiner Band. Eine Underground-Außenseiter-Kolonie, die ständig wächst, ohne das wir sie wirklich hören und sehen.
(Universal Music)
Single: „Verliebt in dieses Lied“
Knapp drei Jahre nach der VÖ ihres letzten Albums sind Isolation Berlin nun endlich zurück. „VERLIEBT IN DIESES LIED“ heißt die erste Single.
Während man beim Song zunächst meint, in eine wohlig-nostalgische Stimmung zurückversetzt zu werden („Die Tage waren unendlich sanft / Der liebe Gott hat uns noch alle sehr geliebt / Wir guckten Nickelodeon / Und dann kam was / Und dann kam was auf MTV“). Doch dann spürt man, wie der Abgrund uns zwischen den Zeilen anstarrt. Auch weil Bamborschke die drei Buchstaben MTV auf einzigartige Weise intoniert.
Das dritte Album von Isolation Berlin erscheint im Herbst 2024.
(Universal Music)